Mittwoch, 2. November 2011

Briefe zur Vorlesung von Jürgen Wertheimer

Wenn einer eine Vorlesung hält, sollte er, neben dem rein Stofflichen, reflektieren was er tut. Wenn einer eine Vorlesung zum Thema Aufklärung hält, ist dieser Schritt unverzichtbar.

Auch die Paradoxie, die mit der Tatsache einhergeht zehn Stunden oder länger zu verkünden, Aufklärung sei im Kern definitiv mit autonomer Verstandestätigkeit ohne Mitwirkung eines Vormunds verbunden – und dann eine Vermittlungsform zu wählen, die genau dies verhindert – und wenn nicht grundsätzlich verhindert, doch sehr schwer macht.

Eine Antwort zu sehen, fällt nicht ganz leicht: Natürlich könnte man sich darauf berufen zu sagen, dass der Vortragende ja nur Impulse zu geben vermag, die den Hörenden dazu veranlassen möchten, kritisch mit den Dargebotenem umzugehen und seine eigene Meinung zu bilden. Man könnte auch versucht sein, sich auf das nun einmal gegebene Format der „Vor-Lesung“ zurückzuziehen. Aber beides löst das Problem nicht. Die Wahrheit ist, dass eine Vorlesung zu diesem Thema gewissermaßen den Rückfall in einen voraufklärerischen Status bedeutet. Außer es gelänge, den interaktiven Teil, das dialogische Moment drastisch auszubauen, eine Art Theater der Meinungen zu inszenieren und ein Netzwerk aus Einzelstimmen zu dokumentieren. Ein System, dessen Regeln ich natürlich nicht definieren darf, sondern das sich ausbilden muss.

Was mein Vorgehen im Raum der Vorlesung angeht, so sind auch einige Bemerkungen angebracht.
  1. Ich möchte das, was sich mir als Gesamtsystem Aufklärung darstellt, kondensiert darstellen: dies beinhaltet noch mehr das hermeneutische Problem der subjektiven Fokussierung auf den Standpunkt eines Einzelnen, auch und gerade wenn das was er sagt, plausibel zu sein scheint.
  2. Um dieser „Falle“ zumindest ansatzweise zu entgehen, gibt es eine Reihe von Techniken, die teilweise verwendet werden:
  • Schnelldurchläufe, die allen durch die Beschleunigung anzeigen, dass es sich um ein Konstrukt handelt.
  • Wiederholungen, die den Systemcharakter des jeweiligen Phänomens sichtbar machen.
  • Sprünge, z.B. andere Epochen
  • Aktualisierungen, deren Stichhaltigkeit per se fragwürdig ist, und die nie eines zu eins aufgehen können und sollen.

2 Kommentare:

  1. Steffen-Peter Ballstaedt6. November 2011 um 10:57

    Natürlich ist eine Vorlesung ein Anachronismus. Sie stammt aus einer Zeit, in der sich viele Studierenden noch keine Bücher leisten konnten und der Professor zunächst ein Kapital aus einem Buch vorgelesen und dann interpretiert hat. Heute sind Bücher erschwinglich und viele Text findet man kostenlos im Internet.
    Eine Vorlesung als Vermittlungsform besetzt aber unter zwei Bedingungen trotzdem noch eine wichtige Nische: 1. Es muss sich um aktuelle Forschungen und Einsichten handeln, sozusagen um eine Teilnahme am Denk- und Erkenntnisprozess. 2. Der oder die Vortragende sollte über eine gewisse rhetorische Begabung verfügen, damit das Zuhören über 90 Minuten nicht zur Qual wird. Beide Bedingungen sind bei Prof. Wertheimer gegeben. Und nach meinen Erfahrungen funktionieren Diskussionen in großen Hörsälen nicht, es melden sich immer dieselben und eine eine echter Dialog kommt nicht zustande.

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  2. Recht haste, Steffen-Peter Ballstaedt!

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